Vor gut einem Monat fand in Berlin das OER-Festival (Open Educational Resources) statt. Ein bunter Anlass, der durch die unterschiedlichen Veranstaltungsformate und vielseitigen Austauschmöglichkeiten die deutschsprachige OER-Community und -Landschaft in allen Belangen zum Ausdruck brachte. Nadja Böller und Ricarda T.D. Reimer waren als Vertreterinnen der eduhub Special Interest Group (SIG) OER als einzige Schweizerinnen am Festival dabei und berichten im Folgenden über verschiedene Workshops und Diskussionsergebnisse. Was wir aus diesem Erfahrungsaustausch für die Entwicklung der schweizerischen OER-Landschaft im (hoch-)schulischen Bereich mitnehmen können, rundet den Beitrag ab.
Die dreitägige Veranstaltung wurde dem Begriff „Festival“ im wahrsten Sinne mehr als gerecht. Verschiedene Veranstaltungsformate wie Barcamp, Workshops, Paneldiskussionen, Thementische, Markstände, Wettbewerbe sowie kulinarische und kreative Begleitung mit (Sch-)leckereien und DIY-Buttons zeigen die vielseitigen Möglichkeiten, wie man das Konzept OER positionieren und diskutieren kann.
Natürlich besteht dabei auch die Gefahr, dass sich viele Themenaspekte wiederholen, was auch der Fall war. Nicht zuletzt zeigt dies aber auch, wo die Diskussionen stehen und weiterer Handlungsbedarf angezeigt wäre. Denn es ist unbestritten, dass das Thema und die Konzepte sowie Projekte rund um OER in Zukunft im Bildungskontext noch wichtiger werden.
OERcamp – Austausch und Praxis
Die ersten beiden Tage waren als Barcamp organisiert. Diese sog. Unkonferenz stellt den Austausch und die Praxisorientierung in den Mittelpunkt, Themen werden gemeinsam vor Ort festgelegt und diskutiert. Ergänzend fanden verschiedene Workshops statt.
Die folgenden Beispiele geben einen Einblick in die Vielfalt der Themen:
Das kollaborative Entwickeln von Lehrbüchern wurde am Beispiel der Projekte Mathe für Nichtfreaks und Serlo sowie das Handbuch CoScience und Opening Science aufgezeigt. Eine der grossen Herausforderungen liegt darin, dass die Qualität der Artikel vor allem dann gewährleistet werden kann, wenn die Autor/inn/en intensiv betreut werden. Neben den technischen Herausforderungen ist also auch die Kontaktpflege sehr zeitintensiv für die Macher/innen dieser Projekte.
Zum Session-Pad: https://pad.okfn.org/p/oer16serlo
Der Fokus auf die Produktion von offenen Bildungsvideos legt das Projekt Weiterbildung Digital. Hier wird das Konzept des Flipped Classroom verfolgt: kurze Videos (max. 3 Minuten) werden für ein klar definiertes Zielpublikum gedreht und in bestehende Weiterbildungsangebote integriert. Die dafür notwendige technische Infrastruktur soll dabei möglichst einfach bleiben: Als Kamera wird ein in einen entsprechenden Halter integriertes iPad verwendet, das durch ein Mikrophon und eine Vorsatz-Telelinse ergänzt wird.
Zum Session-Pad: http://pad.o-e-r.de/p/oercamp16-Saal15h
An verschiedenen Stellen thematisiert wurde immer wieder der Aufruf des deutschen Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) zur Schaffung einer Informationsstelle für OER. Die Sessions am OERcamp wurden vor allem dazu genutzt, mögliches Potential für Kooperationen für die Eingabe von Projektvorschlägen zu diskutieren. Viele Fragen blieben aber noch offen und es blieb der Eindruck zurück, dass die Ausschreibung sehr unklar scheint.
Mehr zur Diskussion der Ausschreibung in den News des Hochschulforums Digitalisierung.
OER-Fachforum – Diskussion und Politik
Der Wechsel vom OERcamp ins Fachforum kam fast einem Kulturschock gleich. Das Camp fand in einem Jugendkulturzentrum in Berlin-Mitte statt, wo man sich für einige Sessions auch schon mal in einer Werkstatt oder im Dachgeschoss wiederfand, das WLAN und die Heizung funktionierten nur unzuverlässig, auch kam es vor, dass der Strom ausfiel. Das Fachforum am dritten Festivaltag war angesiedelt in den herausgeputzten Ministergärten zwischen Potsdamer Platz und Brandenburger Tor, wo die Bundesländer vertreten sind. Die Fotos auf der Website veranschaulichen die lichtdurchflutete und grosszügige Atmosphäre sehr schön.
Unter dem Motto „Macher treffen Entscheider“ ergab sich mit den zahlreichen Panels und vertiefenden Thementischen die Möglichkeit auch auf (bildungs-)politischer Ebene diskutieren zu können. Dadurch erweiterte sich das Themenspektrum im Gegensatz zum OERcamp noch um einige Aspekte, wie beispielsweise OER in der Erwachsenenbildung oder öffentlich geförderten Weiterbildung, Finanzierung- und Geschäftsmodelle zu OER, Lizenzfragen, IT-Infrastrukturen aber auch viele Ansätze für Best Practices.
Zum kompletten Programm: http://open-educational-resources.de/16/fachforum/programm/
Auch wurde im Rahmen des Fachforums der OER-Atlas vorgestellt, wo unter anderem auch auf Initiativen in der Schweiz hingewiesen wird (S. 80). Mehr dazu demnächst in einem Blogbeitrag.
OER-Landschaft in der Schweiz – eine Community mit langem Atem!
Das Thema Anreizsysteme für die Erstellung von OER und mögliche Argumentationsstrategien für die Hochschule wurde in verschiedenen Sessions, Workshops, Panels und Pausengesprächen immer wieder aufgegriffen. Das ist auch für die seit 2009 in der Schweiz bestehende SIG OER eines der wichtigsten Themen. Letztendlich stehen die Diskussionen im Hochschulumfeld in Deutschland an ähnlicher Stelle wie in der Schweiz. Das 2015 in Deutschland veröffentlichte Whitepaper zu OER stellt zwar eine erste gute Grundlage dar, jedoch fehlt es an vielen Hochschulen an einer strategischen Positionierung der Thematik, um die Sichtbarkeit von OER als Profilierung und Wahrnehmung gegen aussen zu sehen. Systematische Anreizstrukturen für Lehrende in Schulen und Hochschulen fehlen dadurch nach wie vor. Zum einen müssten unter strategischen Gesichtspunkten (also top-down) den Lehrenden entsprechende Ressourcen und Unterstützungsangebote zur Verfügung gestellt werden, um freie Lehrmaterialien zu produzieren. Zum anderen muss ein Kulturwandel stattfinden (also bottom-up), der das Verfügbarmachen und Teilen von Lehr-/Lernmaterialien fördert und den nach wie vor oft verbreiteten Denkansatz „Freiheit der Lehre = Lasst mich in Ruhe“ auflöst.
Das Thema OER gewinnt in Deutschland durch den kürzlich erschienenen Bericht der Arbeitsgruppe aus Vertreterinnen und Vertretern der Länder und des Bundes zu OER jedoch seit einigen Monaten an bildungspolitischer Relevanz. Mit dem Anfang Jahr ausgeschriebenem Programm des Bundesministeriums für Bildung und Forschung zur Förderung Offener Bildungsmaterialien werden gar entsprechende Mittel zur Verfügung gestellt.
Für die Schweizer Hochschulen gibt es kein veröffentlichtes Whitepaper zu OER, das auf strategischer Ebene als Argumentarium herangezogen werden könnte (vgl. Reimer, Ricarda T.D. & Edinger, Eva-Christina (2014): Open Schweiz – eine (selbst-)kritische Einschätzung aktueller Initiativen und Projekte zum Themenfeld Open Education Resources (OER), In: Petra Missomelius, Wolfgang Sützl, Theo Hug, Petra Grell & Rudolf Kammerl (Hrsg.): Medien – Wissen – Bildung: Freie Bildungsmedien und Digitale Archive. Innsbruck: Innsbruck University Press. S. 257-276. (Direktlink zum PDF). Auch der politische Wille zur freien Bildung hat hierzulande nicht den gleichen Stellenwert, Förderprogramme in diesem Bereich sind kaum bekannt. Sind hier die Strukturen und Möglichkeiten so andersartig? Welche Initiativen und Programme greifen das Themenfeld ganz konkret auf? Innerhalb der Hochschullandschaft sind die Bibliotheken ebenfalls Akteure, die sich im Kontext und das Wissen über Open Access den Fragestellungen zu OER widmen – eine Zusammenarbeit wird zunehmend lanciert. Gerne würden wir von den Ideen und Initiativen in den deutschsprachigen Ländern oder auch dem anglo-amerikanischen Umfeld lernen und profitieren sowie auch unsere Kompetenzen einbringen.
Rahmenbedingungen zu schaffen, sei dies auf politischer Ebene, durch Möglichkeiten des Austauschs an Tagungen oder einfach durch die Zusammenarbeit in Projekten sind Voraussetzungen, um das Thema OER prinzipiell an Hochschulen angehen zu können. Dies geht auch in anderen deutschsprachigen Ländern nur sehr langsam voran, wie wir feststellen konnten.
In der Schweizer Hochschullandschaft stellt die SIG OER im Sinne der Vernetzung und des Austauschs den Anlaufpunkt dar. Hier treffen sich motivierte und engagierte Personen aus dem Hochschulumfeld, die das Thema voranbringen möchten. Um aber mit entscheidenden Schritten voranzukommen, sind alle Stakeholder, wie bspw. auch Verlage, gleichermassen wichtig, damit etwas bewirkt werden kann.
Am Thementisch im Rahmen des Fachforums haben wir dies anhand eines Poster veranschaulicht und mit verschiedenen Personen diskutiert. Wie die Diskussionen in Deutschland gezeigt haben, sind auch dort noch sehr viele Fragen offen, auf die wir keine konkrete Antworten mitnehmen konnten.
Am OER-Festival bestand die Möglichkeit, auf einer Postkarte, die man an sich selbst adressierte, zu notieren, was man sich für die Entwicklung von OER am meisten wünscht. Die Postkarte wird dann in einem Jahr abgeschickt und eintreffen. Was würden Sie sich für Entwicklung von OER in einem Jahr wünschen? Wir nehmen gerne schon jetzt Kommentare zum Blogbeitrag entgegen.
Weitere Informationen:
- Die komplette Dokumentation zum OER-Festival ist auf der Website der Transferstelle für OER zu finden.
- Die Special Interest Group (SIG) OER wird von Ricarda T.D. Reimer geleitet, Leiterin der Fachstelle Digitales Lehren und Lernen in der Hochschule, PH FHNW.
Bildnachweis:
- Bild 1: Remix your Candies (Foto von Nadja Böller, CC BY 4.0)
- Bild 2: Equipment für die Aufnahme mit dem iPad (Foto von Nadja Böller, CC BY 4.0)
- Bild 3: Das offizielle OERde16-Kunstwerk aus vielen bunten Fäden (Foto von Nadja Böller, CC BY 4.0)
- Bild 4: Unser thementisch am OER-Fachforum (Foto von Nadja Böller, CC BY 4.0)
- Poster von Nadja Böller, CC BY 4.0